Samstag, 26. Februar 2005

Traumflug

Ich liege bäuchlings auf dem Rücken der Thruo’Rhijn, meine Arme um ihren Hals, das Gesicht an ihr kurzes weiches Fell geschmiegt, die Augen geschlossen. Die Kälte des Windes, der meine Beine streift, lässt mich die Flughöhe ahnen, in der Shi’Ri Naga, die riesigen Schwingen fast reglos ausgebreitet, jetzt dahingleitet. Durch die Augen der Freundin sehe ich weit unter uns die Landschaft meiner Heimatwelt Antariana I.

Die Thruorijn fliegt nach Westen. Gerade noch sieht sie den namenlosen, reißenden Fluss der durch die öde Landschaft fließt, die sich zwischen den dichten Wäldern weit im Norden und den fast unendlichen Graslandschaften erstreckt. Im Südwesten ist schwach die grün – braune Bergkette zu erkennen.

Die weite Prairielandschaft wird etwas hügeliger, gesprenkelt mit vereinzelten kleinen Wäldchen, die von hier oben eher großen runden Steinen gleichen und winzigen Bauernhöfen. Hellgraue Bänder winden sich an den Hügeln entlang, Straßen, über denen ich gelegentlich einen Gleiter huschen sehe. Dort in der Ferne reflektiert eine hellblaue Kuppel dunkelrote Sonnenstrahlen. Ein Transkontinentalshuttle löst sich aus dem Strahlenschutzschild der Stadt um gleich ziemlich dicht an uns vorbei zum 3. Kontinent zu fliegen. Die Passagiere werden sich freuen, selten sind in dieser Gegend Thruo’Rhijn zu sehen.

Dicht vor uns sind jetzt die ‚Berge, die die Sonne schlucken’. Selbst von hier oben sieht es noch so aus, als würde die nun fast violette Sonne direkt in das Gebirgsmassiv fallen. Der Kleine Mond steht schon hoch am Himmel während die Sichel des anderen gerade aufsteigt.

Die Thruo’Rhijn fliegt einen weiten Bogen. Es wird schwarz um mich, als sie ihre gewaltigen Schwingen hebt. Ich spüre die Geborgenheit und Wärme, wie immer, wenn ich meine Stirn so an ihren Hals presse. Als sich ihre Schwingen wieder senken, ragt vor uns das Institut empor, ein riesiger Turm, oder eine achteckige Pyramide, umgeben von einer unwirklich schimmernden blauen Hülle. Der Fuß hat den Umfang einer kleinen Stadt, die Höhe überrascht mich immer wieder, auch aus dieser Perspektive. Undeutlich sehe ich die Menschen, oben, wie unter einer Glaskuppel. In immer mehr Fenstern geht Licht an, bis das Gebäude schließlich mit tausenden von glitzernden Pünktchen überzogen ist. Ich könnte noch stundenlang so fliegen – zwischen Himmel und Erde – zwischen Tag und Nacht – mit den Schwingen der Shi’Ri Naga.

Ich murmle wie in im Traum: „Nein, noch nicht nachhause – Flieg mich zum Mond, Thruo’Rhijn!“

Wie im Traum… Ich kenne diesen Traum noch, ich träume ihn noch gelegentlich, aber selbst dieser Traum wird immer undeutlicher. Wenn ich aufwache, werde ich wieder wissen, dass ich wohl nie mehr die Schwingen und Augen der Thruo’Rhijn teilen werde. Sie gehört in eine längst vergangene Zeit, in ein anderes Leben, das ich früher einmal gelebt habe, in eine andere Welt, die ich vor über dreißig Jahren verlassen habe…

Aber jetzt ist wohl der Moment gekommen, mich mit meinem Erdenleben endlich abzufinden. Die Hoffnung auf Rückkehr, darauf mein altes Leben einfach wieder aufzunehmen, hat fast die Erinnerungen daran überdeckt. Jetzt ist der Zeitpunkt, sie zu ordnen so gut es geht und sie aufzuschreiben, die Erinnerungen an mein Leben auf der anderen Seite der Sonne.

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